Ein Wort unserer Zeit ist der Präsentismus. Doch was genau bedeutet das?
Wenn Mitarbeiter krank zur Arbeit gehen, kann dies aus den verschiedenen Beweggründen heraus geschehen:
Schon in der Erziehung kann es Sätze gegeben haben wie: „Das ist nur eine kleine Erkältung, wir haben uns früher auch nicht ausruhen können. Anderen geht es viel schlechter! Stell Dich nicht so an!“
Ein Solidaritätsgefühl: „Ich kann meine Kollegen bzw. meine Chefin nicht im Stich lassen!“
Oder das Pflichtgefühl: „Ohne mich läuft hier nichts, es gibt keinen Ersatz!“
Oder einfach Angst: „Ich verärgere meinen Vorgesetzten, mein Job steht auf dem Spiel!“
Auch: „Als meine Kollegin mal krank war, hat die aber einen Einlauf von der Chefin bekommen…„
Dieses Phänomen, dass sich kranke Mitarbeiter zur Arbeit schleppen, wird als Präsentismus bezeichnet. Das gibt es in Deutschland oft. Die Gründe dafür sind vielfältig. Meist sind tatsächlich Ängste und Solidaritätsgefühle der Hauptmotivator.
„Wieso sind Sie denn schon wieder krank?“
„Was, sie wollen zur Kur? Ist das denn wirklich notwendig?“
Diese Sätze hört wohl niemand gern!
Es muss nicht der Anschiss des Vorgesetzten sein, der abschreckt. Genau das Gegenteil funktioniert auch: Die Masche mit dem schlechten Gewissen:
„Sie wissen doch, wir haben einen personellen Notstand. Was soll ich denn ohne Sie machen?“
Solche Aussagen wirken oft genauso gut, wie die heftige Diskussion.
Präsentismus – das Problem mit der Fehlzeitenstatistik
Gerade in Betrieben, bei denen es nicht so einfach ist eine Vertretung zu organisieren, ist die Wirkung enorm. Kleine Geschäfte (Blumenladen, Bäckerei, Metzgerei etc.) laufen oft auf Reserve. Meist ist nur eine Person im Laden. Und nun? Darf das auf Kosten der Mitarbeiter gehen?
Präsentismus ist das große Problem für die Erfassung des Krankenstandes
„Wir haben wenige Fehlzeiten bei uns im Betrieb, unsere Mitarbeiter sind selten krank!“
Liebe Unternehmer, das ist schön für Euch!
Wenn die Mitarbeiter tatsächlich gesund sind, ist das sicherlich ein positiver Aspekt. Leider ist es nicht möglich auf Grundlage der Fehlzeiten auf das Krankheitsgeschehen der Unternehmen zu schließen. Wenn es gelebte BGM-Maßnahmen gibt, können die geringen Fehltage auch auf eine gute Gesundheit der Belegschaft schließen lassen. Ohne Zweifel!
Denn in einer gut gelebten BGM-Struktur werden weit mehr Faktoren als nur die Ausfallzeiten berücksichtigt, um sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen.
Iwan P. Pawlow und die klassische Konditionierung
Schon im 19. Jahrhundert hatte sich u.a. der Physiologe Pawlow mit der klassischen Konditionierung beschäftigt. Das waren diese Experimente mit dem Hund, dem Steak, der Glocke und dem Sabbern.
Eine Belohnung wirkt direkt auf unser Belohnungssystem und kann uns Menschen dahingehend erziehen, dass wir für ein bestimmtes Verhalten belohnt werden. Kinder bekommen ein Gummibärchen wenn sie brav waren, der Hund ein Steak, die Maus den Käse.
Angestellte und Arbeiter erhalten ein Lob vom Chef wenn Sie etwas getan haben, obwohl man dies „gar nicht hätte verlangen können!“. Aufopfernd für das Unternehmen!
In der Sozialpsychologie wird solch ein Vorgehen auch „Manipulation“ genannt.
„Also liebe Mitarbeiterin X! Ich rechne Ihnen das hoch an, dass Sie trotz Ihrer schweren Grippe gearbeitet haben! Ich weiß nicht, was ich ohne Sie machen würde!“
Nun passiert es immer häufiger: Krank zur Arbeit und Lob! Ach welch schönes Gefühl! Mit Fürsorgepflicht, hat das aber nicht mehr viel zu tun.
Was ist, wenn die Mitarbeiterin das nächste Mal doch zum Arzt geht? Kann es passieren, dass ein nicht mehr geäußertes Lob wie eine Strafe wirkt?